Navigation:

Ski- und Bergtouren im Tölzer Voralpenland und im Karwendel

Tatonka Bison 75 EXP

Geschrieben am 25. 02. 2013 in der Kategorie "Rucksäcke" von Harald Breitkreutz

Vorgeschichte

Es gibt ja nun einige Dinge, die man spontan nicht einfach so im Internet bestellen würde. Auch im Bereich Bergsport und Trekking. Schuhe zum Beispiel. Klamotten. Rucksäcke. Und all das andere Zeug, das man einfach anprobiert haben muss, um sicherzustellen, dass es auch wirklich passt. Gut, das ist jetzt nur meine Meinung, und das hier, dieser Testbericht, das ist ja wenn man ganz ehrlich ist eigentlich auch nur eine Meinung, die man nicht zwangsläufig teilen muss. Aber nur weil es meine Meinung ist, heißt das ja noch lange nicht, dass ich das auch so machen muss. Hust. Also hab ich mir in der Vorfreude auf die nächste große Trekkingtour doch mal einen Rucksack im Internet bestellt. Günstiges Angebot, Objekt der Begierde, usw. Kann man ja auch wieder zurückschicken, nicht?

Aus Erfahrung klug, oder zumindest so was ähnliches, habe ich mich für eines der Top-Modelle entschieden, den Tatonka Bison 75 EXP. 75l groß, weil da kann man endlich so viel in den Rucksack reinpacken wie man eigentlich nicht reinpacken sollte aber irgendwie trotzdem immer dabei hat. Sind aber auch Spaßvögel, die einem vorbeten, wie man locker einen Rucksack für 10 Tage Trekking mit Zelt, Schlafzeug, Futter für die ganze Zeit, Kocher, kaum Wäsche und einem sehr dicken Buch für die unvermeidlichen Regentage unter 20kg packen kann. Noch dazu wenn man der Freundin auch nicht unbedingt >20kg aufhalsen (aufrücken?) will. Die 90l-Variante wollte ich (vorerst) nicht, denn diese Größe ist (noch) jenseits meines Trekkinghorizonts.

„Speziell für das Tragen von hohen Lasten jenseits der 20kg über lange Strecken entwickelt“. Klingt gut, kommt mir bekannt vor – nicht der Spruch, sondern die zugehörige Realität. Nordschweden, Island, Chile und was weiß ich noch wo, 25kg+ in der alten Krücke die für 15kg konzeptioniert wurde, da war es nun doch wirklich Zeit für was neues. „Kompromissloser Trekkingrucksack für höchste Ansprüche“. Wenn der Werbetexter schon so kreativ ist, dann wollen wir doch mal gucken, ob die bei mir in der Realität zwar bisher nicht vorhandenen aber aus gegebenem Anlass durchaus hervorzauberbaren höchsten Ansprüche von diesem Rucksack auch befriedigt werden. Aber erstmal muss man ihn ja kaufen.

Fündig geworden bin ich bei (externer Link)CAMPZ Outdoor & Adventure, einem noch eher wenig bekannten, dafür aber sehr aufgeräumten Internetshop. Also, bestellt, bezahlt, und schon klingelt zwei Tage später der Postmann vergeblich bei mir um den Rucksack im Monsterkarton dann bei meinem Nachbarn unterzubringen. Philosophische Naturen könnten sich in diesem Zusammenhang fragen, wer denn eigentlich die ganzen Pakete annehmen würde, wenn es keine Rentner, Hausfrauen und Arbeitslose geben würde, denn schließlich arbeitet der Auslieferer genau zu der Uhrzeit, zu der auch die meisten anderen Menschen arbeiten. Egal, drei Tage nach Bestellung war der Flur des Nachbarn wieder begehbar und ich im Besitz des Tatonka Bison 75 EXP.

Anspruch & Testkriterien

Bevor es nun aber ans Testen geht, sollte ich vielleicht kurz definieren, was ich von einem Top-Rucksack erwarte:
  1. Er verteilt die Last so auf Schultern und Hüfte, dass keines der beiden frühzeitig ermüdet. Da das naturgemäß bei jedem Menschen anders ist, muss sich die Lastverteilung entsprechend einstellen lassen.
  2. Diese Einstellung kann ohne ein mehrsemestriges Studium der Rucksackistik vorgenommen werden, also intuitiv.
  3. Alle Einstellungen können ohne irgendwelche ausgefuchsten Pfriemelteile vorgenommen werden, also keine High-Tech-Rädchen oder Plastikkonstruktionen, deren Hauptaufgabe darin liegt, frühzeitig irreparabel kaputt zu gehen (vgl. Elektronik im Auto).
  4. Die Rückenpolsterung darf nicht zu weich ausgeführt sein und auch nicht den Eindruck erwecken, dass nach einer einzigen falschen Berührung gelblicher Schaumstoff durch den dünnen Bezug aus der Polsterung bröselt.
  5. Die Hüftgurte sind stabil aber nicht starr.
  6. Es gibt genügend Zurrbänder um den Rucksack auch in weniger gefülltem Zustand kompakt packen zu können.
  7. Die Bänder, insbesondere an Hüft- und Brustgurt sind nicht so lang, dass sie einen bei stärkerem Wind dauernd ins Gesicht oder auf die Hände schlagen – Leute mit 2m Bauchumfang und 150kg Gewicht, die die üblicherweise verbauten Kilometerbänder brauchen würden, tragen selten 75l-Rucksäcke auf Trekkingtouren spazieren. Idealerweise lassen sich die überflüssigen Teile der Bänder auch noch irgendwie verstauen.
  8. Außen hat der Rucksack hinreichend Befestigungsmöglichkeiten für Zeug, das man ungerne im Rucksack selber hat: Stecken, Eispickel, Steigeisen und all den anderen Kram, dessen Spitzen man lieber im Hintermann als in der eigenen teuren Outdoorhochleistungsjacke sieht.
  9. Das Rucksack-Innere kann in mehrere Teile separiert werden um auch im vollgepackten Zustand eine gewisse Ordnung zu ermöglichen. Die Ordnung ist natürlich sinnfrei, wenn jedes der Abteile nicht über einen getrennten Zugang verfügt, also einen entsprechenden Reißverschluss oder eine Klappe hat.
  10. Die Reißverschlüsse sind Vertreter der stabileren Gattung. Es hat ja bei Rucksäcken eine gewisse Tradition, dass sie immer zusammen mit ihren Reißverschlüssen sterben…
  11. Idealerweise sind die Reißverschlüsse regendicht ausgeführt, so dass ich nicht bei jedem kleinen Schauer die Regenhülle rausziehen muss.
  12. Die Regenhülle erwarte ich bei Rucksäcken der gehobenen Preisklasse im Lieferumfang. Sie ist großzügig genug dimensioniert dass auch das eine oder andere außen befestigte Extra noch mit drunter passt, und knapp genug, dass ich im patagonischen Sturm nicht wegfliege. Sie lässt sich einfach befestigen ohne dass ich eine halbe Stunde an irgendwelchen Schnüren rumknoten muss – im Idealfall ist also einfach ein Gummizug eingenäht.
  13. Der Boden des Rucksacks ist derart ausgeführt, dass ich ihn auch mal auf leicht feuchtem Untergrund abstellen kann, ohne um den im Bodenfach befindlichen Schlafsack fürchten zu müssen (der aufgrund schlechter Erfahrungen in diesem Punkt aber eh immer in einer Plastiktüte untergebracht ist).
  14. Überhaupt sollte das gesamte Außengewebe schön stabil sein, so dass sich ein schlecht eingepacktes etwas scharfkantigeres Teil vom Inneren nicht gleich nach außen durchfrisst (Harscheisen und Lawinenschaufeln sind da so Paradebeispiele dafür).
  15. Es gibt minimal ein Außenfach für den schnellen Zugriff auf Getränke, Sonnencreme o.ä., ohne dass der Rucksack abgesetzt werden muss.
  16. In der Deckeltasche ist ordentlich Platz.
  17. Der Rucksack verfügt zudem über ein Innenfach, in dem ich wichtige Dokumente regensicher unterbringen kann (Pass, Visum, …). Dieses Fach ist für mich auch im vollbepackten Rucksack leicht zu erreichen und gleichzeitig nicht leicht zu erreichen für Leute, die es nicht leicht erreichen sollen. Gelegenheitsdiebe zum Beispiel. Ein guter Platz ist immer die Innenseite der Deckeltasche.
  18. Der Rucksack lässt sich flugzeugtauglich packen und verschnüren.
  19. Das Eigengewicht des Rucksacks ist nicht all zu hoch. Natürlich steht das ein bisschen im Widerspruch zu rund einem halben Dutzend der oben genannten Stabilitätskriterien, aber he, Ingenieure lieben Herausforderungen und ich brauch Gründe um den getesteten Rucksack abwerten und den Werbetextern eins reinwürgen zu können.
Freilich sind manche dieser Punkte bedeutend wichtiger als andere. Und dann gibt es noch Dinge, auf die ich persönlich pfeife, die andere aber regelmäßig für wichtig halten:
  1. Eine ordentliche Hinterlüftung des Rückens - als ob es einen Unterschied machen würde, ob ich schwitze wie ein Tier oder wie ein abgestochenes Schwein…
  2. Möglichkeit für einen Trinkschlauch.
  3. Die Farbe muß ganz toll sein.

Test

Handeln wir die drei letztgenannten Punkte also zuerst ab: Ja, der Rucksack ist prima schwarz mit einigen knallorangenen Elementen die farblich wunderbar mit dem Sonnenuntergang in einer schwarzen Lavawüste harmonieren, man kann einen Trinkschlauch einfädeln, die entsprechende Abteilung im Rückenfach ist vorhanden, und auch belüftet wird ganz toll. Glaube ich. Bisher habe ich den Rucksack nämlich erst eine Stunde getragen. Die nächste Trekkingtour ist bedauernswerterweise noch ein Weilchen entfernt. Kommen wir damit also zur Beschreibung des Testszenarios: Da ich zu faul war, den Rucksack trekkinggerecht zu packen, habe ich einfach den halben Getränkekeller in den Rucksack gestapelt. Das ergibt bedingt durch die homogene Dichte natürlich nicht wirklich eine ideale Gewichtsverteilung (lies: Es gibt nichts „schweres“, das man näher an den Körper packen könnte), aber für einen ersten Test sollte das ausreichen. Natürlich sind 30kg ein bisschen arg viel, aber „Speziell für das Tragen von hohen Lasten jenseits der 20kg über lange Strecken entwickelt“ und so, nicht?

Fangen wir mal mit den Einstellungen an, denn die kommen ja zwangsläufig zuerst: Die Länge des Rückenteils wird per solidem Klettverschluss eingestellt. Dazu gibt es eine Anleitung, in der auch die sechs anderen Einstellmöglichkeiten beschrieben sind, von denen ich auf fünf sogar selber gekommen wäre. Insofern reicht also ein Wochenendkurs in Rucksackistik aus. In diesem Zusammenhang habe ich aber noch eine Frage an den Hersteller: Warum um alles in der Welt ist es nicht möglich, bei einem >300€ teuren Rucksack das in der Herstellung vermutlich 10ct. teure Begleitheftchen so anzupassen, dass es exakt nur dieses eine Rucksackmodell beschreibt? Warum suche ich nach anpassbaren Alustangen, wenn mein Rucksack keine hat? Warum freue ich mich über eine Eispickelschlaufe, wenn mein Rucksack keine hat? Warum ist die Regenhülle nicht im Lieferumfang enthalten wenn sie doch ganz offensichtlich im Rucksackdeckel drinliegt? Ist es wirklich zu viel verlangt, die zum Modell passende Anleitung mitzuliefern? Im Handbuch des VW Golf sind doch auch nicht die Features des Touareg beschrieben (* nicht jedes Austattungsdetail findet sich in jedem Produkt)!

Zurück zur Sache: Die Einstellungsmöglichkeiten des Bison sind sehr gut, kein Rädchen, kaum Gefummel. Alle wichtigen Komponenten sind solide ausgeführt, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht immer so aussehen (Beispiel Rückeneinstellung). Zweifel bleiben bezüglich der Schnallen an Brust- und Hüftgurt, hier sehen die Plastikstege teils doch sehr dünn aus. Die Zeit wird zeigen, was sie wirklich aushalten. Die Polsterung der Hüftgurte ist solide ausgeführt, die Polsterung des Rückenteils ist relativ weich. Die Festzurrmöglichkeiten haben den üblichen Umfang guter Rucksäcke (links und rechts je zwei, unten zwei, oben eines + zwei für die Deckeltasche. Die Bänder sind mit Ausnahme des Hüftgurts ausreichend kurz & lang, lediglich am Hüftgurt sind sie sehr lang geraten. Hier gibt es zwar eine Aufräummöglichkeit, aber auch dann baumelt noch viel durch die Gegend.

Befestigungsmöglichkeiten für Zusatzequipment gibt es unten, oben und auf den Seiten. Hinten gibt es leider keine Schlaufen, das ließ sich wohl mit dem Zugang zum Innenfach nicht verbinden. Dennoch wäre eine einfach Gelegenheit für leichte Teile (z.B. Steigeisen) wünschenswert gewesen, das würden die Reißverschlüsse schon aushalten. Zudem sind oben nur die Laschen vorhanden, Schnüre muss man separat mitbringen. Eine Eispickelschlaufe fehlt. Dafür gibt es zwei Griffe, an denen man den Rucksack auch im liegenden Zustand gut hochheben kann.

Das Rucksackinnere lässt sich wie gewohnt in zwei Teile splitten, wobei das untere deutlich kleiner ist als das obere. Im oberen gibt es noch ein Rückenteil , vorne noch einen Abteiler, dessen Sinn sich mir noch nicht erschließt, und die Frontklappe hat ebenfalls ein zusätzliches Innen- und ein Außenfach. Mit Ausnahme der beiden Hauptteile können aber nur flachere Dinge in den anderen Teilen untergebracht werden. Die zugehörigen Reißverschlüsse außen sind stabil ausgeführt, damit aber recht grob und nicht verschweißt. Was die an Regen abkönnen muss sich noch zeigen. Der Außenreißverschluss der Deckeltasche ist abgedeckt und schließt weitestgehend dicht. Generell macht das gesamte Außengewebe des Rucksacks einen stabilen und wasserfesten Eindruck. Der Boden ist nicht extra gummiert oder so, hat aber fünf Minuten im Schnee problemlos dichtgehalten. Regenhülle gehört zum Lieferumfang, auch wenn der angesprochene Beipackzettel das Gegenteil behauptet. Die Hülle ist sinnvoll dimensioniert, verlässt sich auf Gummizüge und kommt ohne viel Geschnüre aus – so mag ich das. Die Regenhülle ist standardmäßig in der großzügig dimensionierten Deckeltasche untergebracht und hat dort auch eine Befestigungsschlaufe. Für den Einsatz muss man sie natürlich herausnehmen, sonst bliebe ja die Deckeltasche offen…

Außenfächer gibt es zwei, allerdings von der Sorte, die bei einem prall gepackten Rucksack zunehmend unbenutzbar werden. Zudem kommt man alleine nicht hin ohne den Rucksack abzusetzen. Das ist schade, da habe ich schon bessere Lösungen gesehen, bei denen das Fach leicht schräg angeordnet ist, mit separatem Gitter, so dass man leicht eine herausstehende Flasche greifen kann (das Wiederreinfummeln steht natürlich auf einem anderen Blatt).

Die Deckeltasche ist wie schon erwähnt großzügig dimensioniert, da passen Karte und Kleinkram rein ohne beschädigt zu werden. Auch ein Innenfach hat die Deckeltasche, ideal für Pässe, Visa und ähnliches wichtiges und leider unverzichtbares Klump.

Der Rucksack wiegt leer 3,3kg, das ist nahe der Schmerzgrenze. Angesichts der stabilen Verarbeitung und der verwendeten Materialien lässt sich da aber wohl nicht mehr viel herausholen, insofern geht das noch in Ordnung.

Nun bin ich wie Eingangs angekündigt mit dem auf 30kg aufgeladenen Modell ein Weilchen in den Isarauen spazieren gegangen. Schon etwas geschwächt durch das Vorprogramm, aber ich will ja wissen, wie sich der Rucksack trägt wenn ich nicht mehr 100% fit bin. Trageeigenschaften sind natürlich etwas, das sehr subjektiv beurteilt wird. Meine Meinung ist, dass der Rucksack im Hüftbereich fast etwas zu steif geraten ist, allerdings bei der Lastverteilung einen hervorragenden Job macht. Die einstündige weglose Tour verlief komplett Kreuzschmerzfrei, und das obwohl der Rucksack alles andere als optimal gepackt war und ich schon lange keinen schwereren Rucksack mehr getragen habe. Insofern hat mich das Tragesystem durchaus überzeugt. Die Steifigkeit im Hüftbereich gibt dann natürlich auch Abzüge bei der Flugzeugpackwertung, denn hier bietet sich leider eine ziemlich gute Schadensangriffsfläche. Ich werde den Rucksack also wohl schön in Plastik einpacken für den nächsten Flug ins Trekkingabenteuer.

Fazit

Das Fazit an dieser Stelle ist zwangsläufig ein Vorläufiges, denn das hier ist ja nur ein Vorabtest ohne längere Tour.

Insgesamt ist der Tatonka Bison 75 EXP ein überzeugendes Produkt. Preislich im oberen Segment angesiedelt geht das hinsichtlich der sehr guten Verarbeitungsqualität aber noch in Ordnung. Die Schwächen des Rucksacks sind eigentlich nur Details, das Konzept wirkt durchdacht und aufgeräumt. Ich freue mich darauf, mit diesem Rucksack bald eine mehrtägige Trekkingtour irgendwo in der Wildnis unternehmen zu können und so festzustellen, ob sich der Ersteindruck vom sehr guten Tragekomfort bestätigt. Interessant wird auch, ob ich mich an die eher steife Ausführung gewöhne oder ob mir diese mit der Zeit doch eher auf den Keks gehen wird. Ich hoffe nicht.

Vorerst 8 von 10 Punkten.

Links


(externer Link)Produktseite bei Tatonka
(externer Link)Produktseite bei CAMPZ Outdoor & Adventure


Zurück zur Übersicht

 
Logo
Ahornblatt